Aussage gegen Aussage

Wann liegt eine Aussage gegen Aussage Konstellation vor?

Eine Aussage gegen Aussage Konstellation liegt vor, wenn der Verdacht gegen den Beschuldigten ausschließlich auf der belastenden Aussage eines einzigen Zeugen beruht und keine weiteren unmittelbar tatbezogenen Beweismittel (weitere Tatzeugen oder Sachbeweise) vorhanden sind. Meist handelt es sich bei dem Zeugen um das mutmaßliche Opfer der Tat.

In welchen Situationen kommen Aussage gegen Aussage Konstellation vor?

Aussage gegen Aussage Konstellationen treten besonders häufig bei Sexualdelikten auf. Hier existieren typischerweise außer dem mutmaßlichen Opfer keine unmittelbaren Tatzeugen, die den behaupteten Tathergang bestätigen oder widerlegen könnten. Fehlen zudem Sachbeweise, etwa Verletzungsbefunde oder DNA-Spuren, oder sind diese im konkreten Fall nicht aussagekräftig, steht Aussage gegen Aussage.

Welche Rolle spielt in dubio pro reo, wenn Aussage gegen Aussage steht?

Oft wird angenommen, dass bei Aussage gegen Aussage eine Art „Pattsituation“ bestünde und ein Freispruch oder die Einstellung des Verfahrens die logische Konsequenz sein müsse. Dies ist ein Irrtum. Er beruht auf einem falschen Verständnis des Grundsatzes in dubio pro reo. Dieser greift nur, wenn das Gericht seine Zweifel am Wahrheitsgehalt der Aussage nicht überwinden konnte. Gelangt das Gericht nach sorgfältiger Vernehmung des Zeugen und intensiver Prüfung seiner Aussage hingegen zu der eindeutigen inneren Überzeugung, dass die Aussage des Zeugen der Wahrheit entspricht, muss es den Beschuldigten schuldig sprechen. Auch wenn Aussage gegen Aussage steht, sind Verurteilungen somit möglich und in der Praxis alles andere als ungewöhnlich.

Wonach entscheiden Gerichte, wenn Aussage gegen Aussage steht?

Allgemeine Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung

Der Richter ist in der Würdigung der Beweise frei (§ 261 StPO). Es gibt keine festen Regeln, in welcher Weise ein Richter die in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat. Fünf Zeugen sind nicht automatisch überzeugender als einer, das Wort eines Professors nicht grundsätzlich mehr wert als das eines Obdachlosen, ein Geständnis nicht immer aussagekräftiger als eine Spur.

Das Fehlen von Beweisregeln bedeutet selbstverständlich nicht, dass an dieser Stelle ein großes Raten und Vermuten beginnt. Gegen Willkür ist der Beschuldigte, neben seinem Recht in der Hauptverhandlung verteidigt zu sein und an der Beweisaufnahme mitzuwirken, vor allem dadurch geschützt, dass ein Gericht nach einer Verurteilung ein schriftliches Urteil verfassen muss, das mit Rechtsmitteln angegriffen werden kann. Es reicht für eine revisionsfestes Urteil, das heißt ein Urteil, das einer Überprüfung durch das Revisionsgericht standhält, selbstverständlich nicht aus, dass das Gericht in seinen schriftlichen Urteilsgründen nur pauschal versichert, dass es “alles” gewissenhaft geprüft und sich seine Entscheidung reiflich überlegt habe. Überzeugung ist nichts, wenn sie nichts vorzuweisen hat als sich selbst. Seine Überzeugungsbildung, also der Weg, auf dem es zu seiner Überzeugung gelangt ist, muss ein Gericht lückenlos darstellen und auf der Basis von Argumenten erklären. Die angestellten Erwägungen und Schlussfolgerungen müssen nicht zwingend sein, sie müssen allerdings auf einer objektiven Tatsachengrundlage aufbauen, rational und in sich stimmig sein. Die Überzeugung des Gerichts muss für einen verständigen Dritten, der das Urteil liest, nachvollziehbar sein.

Erhöhte Anforderungen bei Aussage gegen Aussage

Da die Verteidigungsmöglichkeiten eines Beschuldigten in einer Aussage gegen Aussage Konstellation sehr begrenzt sind, betont der Bundesgerichtshof (BGH) immer wieder, dass der Tatrichter die belastende Aussage des einzigen (Opfer-)Zeugen einer besonders sorgfältigen und kritischen Prüfung zu unterziehen hat. Die schriftlichen Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass der Tatrichter sich dieser Notwendigkeit bewusst war und sich mit den folgenden Fragestellungen und Aspekten eingehend und aussagepsychologisch fundiert auseinandergesetzt hat:

  • Konstanz des Aussageverhaltens:
    Gibt es mehrere Aussagen des Zeugen zum selben Geschehen? Sind die Schilderungen (im Kerngeschehen) gleichbleibend oder zeigen sich wesentliche Widersprüche, Auslassungen oder Ergänzungen?

  • Inhaltliche Qualität der Aussage:
    Enthält die Aussage ausreichend zahlreiche und/oder hochwertige Realitätsmerkmale, die auf ein tatsächlich erlebtes Geschehen schließen lassen? Wichtige Realitätsmerkmale sind u. a.:

    • Logische Konsistenz: Aussage ist in sich stimmig, ohne innere oder äußere Widersprüche.

    • Ungeordnete Darstellung: Sprunghafte, nicht chronologische Schilderung, die dennoch logisch konsistent bleibt.

    • Detailreichtum: Konkrete, anschauliche Angaben zum Kerngeschehen.

    • Raum-zeitliche Verknüpfungen: Handlung wird mit örtlichen, zeitlichen oder sozialen Gegebenheiten verknüpft.

    • Interaktionsschilderungen: Darstellung von Aktionen und Reaktionen, die sich gegenseitig bedingen.

    • Schilderung von Komplikationen: Bericht über unvorhergesehene Schwierigkeiten, vergebliche Versuche oder enttäuschte Erwartungen.

    • Ausgefallene Einzelheiten: Ungewöhnliche, originelle, aber realistische Details.

    • Selbstbelastungen: Darstellung eigener Fehlhandlungen.

    • Entlastung des Angeschuldigten: Verzichten auf nahe liegende Belastungen des Beschuldigten.

    • Strukturgleichheit: Einheitliche Qualität der Berichte über Kerngeschehen und neutrale Ereignisse.

  • (Erfindungs-)Kompetenz des Zeugen:
    Erscheint es unter Berücksichtigung der spezifischen (Erfindungs-)Kompetenz des Zeugen möglich, dass der Zeuge eine Aussage von dieser (hohen) inhaltlichen Qualität auch ohne Erlebnisgrundlage erfinden könnte? Wie sind die kognitiven und insbesondere sprachlichen Fähigkeiten des Zeugen zu bewerten? Bestehen auf dem Gebiet der Aussage frühere Erfahrungen, aus denen der Zeuge die Aussage konstruieren könnte? Bestehen psychische Störungen?

  • Suggestive Einflüsse:
    Haben suggestive Einflüsse (z.B. im therapeutischen Setting) auf die Aussage eingewirkt? Ist die hohe inhaltliche Qualität der Aussage vielleicht auch auf suggestive Einflüsse zurückzuführen, und nicht auf einen realen Erlebnisbezug? (Schein- oder Pseudoerinnerungen)

  • Aussageentstehung und Entwicklung:
    In welchem Zusammenhang ist die Aussage entstanden? Wie hat sich das Aussageverhalten im Laufe der Zeit entwickelt?

  • Aussagemotiv:
    Welche Beweggründe könnten hinter der Aussage stehen? Besteht ein Falschbelastungsmotiv?

Die Bedeutung einer spezialisierten Verteidigung bei Aussage gegen Aussage

Aussage gegen Aussage Konstellationen stellen die Verteidigung vor besondere Herausforderungen. Die Entwicklung erfolgsversprechender Verteidigungsansätze erfordert neben spezifischen Kenntnissen der Aussagepsychologie oftmals ein hohes Maß an Akribie und die Bereitschaft, sich tief „in den Fall hineinzuknien“.

Ein entsprechend spezialisierter Strafverteidiger kann die Qualität der belastenden Zeugenaussage methodisch fundiert hinterfragen, Widersprüche im Aussageverhalten des Zeugen herausarbeiten sowie mögliche Falschbelastungsmotive und suggestive Einflüsse aufdecken, und auf diese Weise Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage bei Staatsanwaltschaft und Gericht säen.

Dringend zu empfehlen ist eine möglichst frühzeitige Beauftragung im Ermittlungsverfahren, also noch vor einer etwaigen Anklageerhebung. Durch eine engagierte Verteidigung im Ermittlungsverfahren kann in vielen Fällen eine Einstellung des Verfahrens erreicht und eine öffentliche Hauptverhandlung, die mit Reputationsschäden verbunden und kostenintensiv sein kann und deren Ausgang ungewiss ist, vermieden werden.