Pflichtverteidigung
Was ist ein Pflichtverteidiger?
Der Begriff „Pflichtverteidiger“ genießt in der Bevölkerung zu Unrecht einen schlechten Ruf. Viele verbinden damit die Vorstellung eines Anwalts zweiter Klasse, der für den Staat arbeitet und einspringt, wenn sich jemand keinen „richtigen“ Anwalt leisten kann. Das stimmt aber nicht. Anders als z.B. in den USA, wo der „public defender" tatsächlich ein solcher vom Staat beschäftigter Anwalt ist, der ausschließlich mittellose Angeklagte vertritt, ist der Pflichtverteidiger hierzulande ein ganz „normaler" Rechtsanwalt. Er übernimmt neben seinen Wahlmandaten auch Pflichtverteidigungen. Kein Rechtsanwalt ist ausschließlich als Pflichtverteidiger tätig.
Gleiche Rechte und Pflichten wie Wahlverteidiger
Wird ein Rechtsanwalt in einem bestimmten Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt, so beruht das Mandatsverhältnis zwar nicht auf einem privaten Vertrag mit dem Mandanten, sondern auf einem staatlichen Bestellungsakt durch das Gericht („Beiordnung”). Im Wesentlichen – und soweit es für den Mandanten von Bedeutung ist – sind die Rechte und Pflichten des Pflichtverteidigers jedoch dieselben wie die eines Wahlverteidigers: Er soll parteiisch für den Beschuldigten tätig sein und für die Wahrung und Durchsetzung seiner prozessualen Rechte sorgen; als Beistand soll er dem Beschuldigten beratend, aufklärend und unterstützend zur Seite stehen. In rechtlicher Hinsicht gibt es keinen Grund, weshalb ein Pflichtverteidiger nicht exakt die gleiche Verteidigung führen kann wie ein Wahlverteidiger.
Wann wird ein Pflichtverteidiger bestellt? – Voraussetzungen
Es mag überraschen, aber tatsächlich findet der Großteil der Strafverfahren in Deutschland, insbesondere im Ermittlungsverfahren, ohne Mitwirkung eines Verteidigers statt. Das Gesetz geht grundsätzlich davon aus, dass sich ein Beschuldigter selbst verteidigen kann. Nur in bestimmten Fällen ist die Mitwirkung eines Verteidigers zwingend vorgeschrieben. Das Gesetz spricht in diesen Fällen von „notwendiger Verteidigung“.
Fälle notwendiger Verteidigung (§ 140 StPO)
Ein Fall notwendiger Verteidigung liegt insbesondere in folgenden Konstellationen vor:
Drohende Untersuchungshaft
Wird der Beschuldigte durch die Polizei vorläufig festgenommen oder aufgrund eines bereits bestehenden richterlichen Haftbefehls verhaftet, muss er unverzüglich, spätestens am darauffolgenden Tage, einem Richter vorgeführt werden. Dieser sogenannte Vorführtermin, in dem über die Anordnung bzw. (weitere) Vollstreckung von Untersuchungshaft entschieden wird, darf nicht ohne einen Verteidiger durchgeführt werden.
Verbrechensvorwurf
Dem Beschuldigten wird ein Verbrechen vorgeworfen. Ein Verbrechen ist eine schwere Straftat – etwa Raub, Vergewaltigung, Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge oder Totschlag –, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht ist.
Drohende Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber
Droht im konkreten Fall eine Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber, ist auch beim Vorwurf eines Vergehens von einem Fall der notwendigen Verteidigung auszugehen.
Schwerwiegende sonstige Nachteile bei Verurteilung
Neben der Strafe als solcher drohen im Verurteilungsfalle sonstige schwerwiegende Nachteile wie z.B.
Bewährungswiderruf
Entlassung aus dem Beamtenverhältnis
Berufsverbot
Einziehung von vermeintlichen Taterträgen in erheblicher Höhe (10.000 € oder darüber)
Besondere Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage
Der Fall weist in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht besondere Schwierigkeiten auf.
Unfähigkeit zur Selbstverteidigung
Der Beschuldigte ist seh-, hör- oder sprachbehindert oder aufgrund anderer Einschränkungen dauerhaft oder vorübergehend nicht in der Lage, den Sachverhalt rechtlich zu erfassen und/oder sich angemessen zu verteidigen.
Finanzielle Bedürftigkeit kein Grund für Pflichtverteidigerbestellung
Entgegen einer weit verbreiteten Annahme ist finanzielle Bedürftigkeit kein Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers. Anders als im Zivilverfahren, in dem eine Partei, die nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten eines Rechtsanwaltes nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe beantragen kann, ist eine solche Möglichkeit für den Beschuldigten in einem Strafverfahren nicht vorgesehen.
Kann ich mir meinen Pflichtverteidiger aussuchen?
Was viele Betroffene nicht wissen: Man kann als Beschuldigter seinen Pflichtverteidiger selbst wählen („Wahlpflichtverteidiger“). Vor einer Pflichtverteidigerbestellung muss das Gericht den Beschuldigten stets anhören und ihm Gelegenheit geben, innerhalb einer angemessenen Überlegungsfrist (in der Regel zwei Wochen) einen Rechtsanwalt seiner Wahl zu benennen. Das Gericht hat dem Wunsch nach einem bestimmten Rechtsanwalt grundsätzlich zu entsprechen.
Von Ihrem Wahlrecht sollten Sie unbedingt Gebrauch machen. Andernfalls wird Ihnen das Gericht demnächst irgendeinen Verteidiger zuteilen. Ob es sich dabei um einen Verteidiger handelt, der Ihren Ansprüchen genügt und dem Sie vertrauen können, hängt dann allein vom Zufall ab.
Was kostet ein Pflichtverteidiger?
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) – die gesetzlich normierte Honorarordnung für Rechtsanwälte – unterscheidet bei den Gebühren des Verteidigers zwischen Pflicht- und Wahlverteidigung. Die Gebühren des Pflichtverteidigers sind auf eine bestimmte Summe festgelegt und deutlich geringer als diejenigen, die ein Wahlverteidiger auf Grundlage des RVG abrechnen kann und wird. Viele Verteidiger bestehen daher, wenn sie als Pflichtverteidiger tätig werden sollen, auf eine Zuzahlung zu den Pflichtverteidigergebühren aus der Staatskasse. Ob die Bereitschaft zur Übernahme von Pflichtverteidigungen besteht bzw. zu welchen Konditionen, sollten Sie daher immer vorab abklären.
Wer bezahlt den Pflichtverteidiger?
Der Pflichtverteidiger rechnet seine Gebühren und Auslagen gegenüber der Staatskasse ab. Dabei handelt es sich allerdings nur um eine vorläufige Übernahme der Kosten. Die Frage, wer die Kosten der Pflichtverteidigung letztlich zu tragen hat, ist abhängig vom Verfahrensausgang. Werden Sie freigesprochen oder wird das Verfahren eingestellt, verbleiben die Kosten bei der Staatskasse. Werden Sie verurteilt, haben Sie für die Kosten der Pflichtverteidigung (ebenso wie für die sonstigen Verfahrenskosten) aufzukommen. Die Staatskasse ist dann berechtigt, die verauslagten Kosten zurückzufordern. Mit der Beiordnung wird dem Angeklagten also kein Anwalt gesponsort, sondern lediglich kreditiert.
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Pflichtverteidigerwechsel bei Untersuchungshaft
Ein in Untersuchungshaft genommener Beschuldigter kann einen ihm vom Gericht zugeteilten Pflichtverteidiger in der Regel problemlos wechseln. Voraussetzung ist lediglich ein entsprechender Antrag auf “Umbeiordnung” innerhalb von drei Wochen nach der Pflichtverteidigerbestellung im Vorführungstermin.
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Pflichtverteidiger bereits im Ermittlungsverfahren erhalten
Liegt ein Fall notwendiger Verteidigung vor, hat der Beschuldigte in jeder Lage des Verfahrens, also auch bereits im Ermittlungsverfahren bzw. vor einer etwaigen Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft, einen Anspruch auf einen Pflichtverteidiger. Die Möglichkeit, auf Antrag bereits für das Ermittlungsverfahren einen anwaltlichen Beistand zu erhalten, sollten Sie nutzen. Denn je früher die Verteidigung einsetzt, desto effektiver ist sie.
Pflichtverteidiger gesucht?
Wenn Sie einen Pflichtverteidiger suchen oder sich fragen, ob in Ihrem Fall die Möglichkeit einer Pflichtverteidigerbestellung besteht, können Sie über das Kontaktformular eine unverbindliche Erstanfrage stellen. Ich werde mich dann umgehend bei Ihnen zurückmelden.